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§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG verstößt nicht gegen Unionsrecht

Was steckt dahinter? 

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat sich in sei­ner Ent­schei­dung vom 19. März 2019 (9 AZR 362/18) mit der Fra­ge­stel­lung zu beschäf­ti­gen, ob ein Arbeit­ge­ber wäh­rend der Eltern­zeit Urlaubs­an­sprü­che kür­zen kann.

Grund­sätz­lich Grund­sätz­lich besteht auch für den Zeit­raum der Eltern­zeit der gesetz­li­che Urlaubs­an­spruch gemäß den §§ 1, 3 BUrlG. Doch § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG räumt dem Arbeit­ge­ber das Recht ein, die­sen zu kürzen:

Der Arbeit­ge­ber kann den Erho­lungs­ur­laub, der dem Arbeit­neh­mer oder der Arbeit­neh­me­rin für das Urlaubs­jahr zusteht, für jeden vol­len Kalen­der­mo­nat der Eltern­zeit um ein Zwölf­tel kürzen.”

Beab­sich­tigt ein Arbeit­ge­ber, von die­sem Kür­zungs­recht Gebrauch zu machen,  muss er eine dar­auf gerich­te­te emp­fangs­be­dürf­ti­ge rechts­ge­schäft­li­che Erklä­rung gegen­über sei­nem Arbeit­neh­mer abge­ben. Dazu ist es aus­rei­chend, so führt es das BAG in sei­ner Ent­schei­dung aus, dass für den Arbeit­neh­mer erkenn­bar ist, dass der Arbeit­ge­ber von die­ser Mög­lich­keit Gebrauch machen will. Das Kür­zungs­recht des Arbeit­ge­bers erfasst nicht nur den gesetz­li­chen Min­dest­ur­laub, son­dern dar­über hin­aus auch den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Mehr­ur­laub, wenn im Arbeits­ver­trag für die­sen kei­ne von § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG getrof­fen wor­den ist.

Die Klä­ge­rin hat­te in die­sem Ver­fah­ren jedoch ein­ge­wandt, § 17 Abs. 1 S. 1 ver­sto­ße gegen Uni­ons­recht. Dem­zu­fol­ge hat­te das BAG die EU-Rechts­wid­rig­keit die­ser Norm zu über­prü­fen. Es kam zu dem Ergeb­nis, dass die Kür­zung des gesetz­li­chen Min­dest­ur­laubs­an­spruchs  weder gegen Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG (Arbeits­zeit­richt­li­nie) noch gegen § 5 Nr. 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über den Eltern­ur­laub im Anhang der Richt­li­nie 2010/18/EU verstoße. 

Das BAG leg­te die Fra­ge­stel­lung nicht dem EuGH zur Vor­ab­ent­schei­dung vor, son­dern bezog sich auf die Ent­schei­dung des EuGH vom 4. Okto­ber 2018 in der Rechts­sa­che C‑12/17, der eine Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung des rumä­ni­schen Beru­fungs­ge­richts­hofs Cluj zugrun­de lag. 

Dort führ­te der EuGH aus:

Nach stän­di­ger Recht­spre­chung des EuGH kön­ne zwar ein Mit­glied­staat in bestimm­ten Fäl­len, in denen ein Arbeit­neh­mer nicht in der Lage ist, sei­ne Auf­ga­ben zu erfül­len, z. B. weil er wegen einer ord­nungs­ge­mäß beleg­ten Krank­heit fehlt, den Anspruch auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub nicht von der Vor­aus­set­zung abhän­gig machen, dass der Arbeit­neh­mer tat­säch­lich gear­bei­tet hat. In Bezug auf den Anspruch auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub sei­en Arbeit­neh­mer, die wegen einer Krank­schrei­bung wäh­rend des Bezugs­zeit­raums der Arbeit fern­ge­blie­ben sind, und sol­che, die wäh­rend die­ses Zeit­raums tat­säch­lich gear­bei­tet haben, somit gleich­ge­stellt. Dies gel­te auch für Arbeit­neh­me­rin­nen, die wegen Mut­ter­schafts­ur­laubs ihre Auf­ga­ben im Rah­men ihrer Arbeits­ver­hält­nis­se nicht erfül­len kön­nen und deren Rech­te auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub im Fall die­ses Mut­ter­schafts­ur­laubs gewähr­leis­tet sein müs­sen und zu einer ande­ren Zeit als der ihres Mut­ter­schafts­ur­laubs in Anspruch genom­men wer­den kön­nen müs­sen. Die­se Recht­spre­chung kön­ne jedoch auf den Fall eines Arbeit­neh­mers, dem wäh­rend des Bezugs­zeit­raums Eltern­ur­laub gewährt wur­de, nicht sinn­ge­mäß ange­wandt werden.

Ers­tens sei das Ein­tre­ten einer krank­heits­be­ding­ten Arbeits­un­fä­hig­keit grund­sätz­lich nicht vor­her­seh­bar und vom Wil­len des Arbeit­neh­mers unab­hän­gig. Inso­weit ver­weist der EuGH auf das Urteil vom 20. Janu­ar 2009, Schultz-Hoff u. a. (C‑350/06 und C‑520/06, EU:C:2009:18), wo er aus­führ­te, dass in Art. 5 Abs. 4 des Über­ein­kom­mens Nr. 132 der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on vom 24. Juni 1970 über den bezahl­ten Jah­res­ur­laub (Neu­fas­sung), des­sen Grund­sät­ze nach dem sechs­ten Erwä­gungs­grund der Richt­li­nie 2003/88 bei deren Aus­le­gung beach­tet wer­den müs­sen, Fehl­zei­ten infol­ge einer Krank­heit den Arbeits­ver­säum­nis­sen „aus Grün­den, die unab­hän­gig vom Wil­len des betei­lig­ten Arbeit­neh­mers bestehen“, zuge­ord­net wer­den, die „als Dienst­zeit anzu­rech­nen“ sind. Dem­ge­gen­über sei die Inan­spruch­nah­me des Eltern­ur­laubs nicht unvor­her­seh­bar und folgt in den meis­ten Fäl­len aus dem Wunsch des Arbeit­neh­mers, sich um sein Kind zu kümmern.

Da zwei­tens der Arbeit­neh­mer im Eltern­ur­laub unter kei­nen durch eine Erkran­kung her­vor­ge­ru­fe­nen phy­si­schen oder psy­chi­schen Beschwer­den lei­det, befin­det er sich in einer ande­ren Lage, als wenn er auf­grund sei­nes Gesund­heits­zu­stands arbeits­un­fä­hig wäre.

Die Situa­ti­on des Arbeit­neh­mers im Eltern­ur­laub unter­schei­de sich glei­cher­ma­ßen von der der Arbeit­neh­me­rin, die ihr Recht auf Mut­ter­schafts­ur­laub in Anspruch nimmt. Der Mut­ter­schafts­ur­laub soll näm­lich zum einen dem Schutz der kör­per­li­chen Ver­fas­sung der Frau wäh­rend und nach ihrer Schwan­ger­schaft und zum ande­ren dem Schutz der beson­de­ren Bezie­hung zwi­schen der Mut­ter und ihrem Kind wäh­rend der an Schwan­ger­schaft und Ent­bin­dung anschlie­ßen­den Zeit die­nen, damit die­se Bezie­hung nicht durch die Dop­pel­be­las­tung infol­ge der gleich­zei­ti­gen Aus­übung eines Berufs gestört wird.

Drit­tens blei­be zwar der Arbeit­neh­mer im Eltern­ur­laub wäh­rend die­ses Urlaubs ein Arbeit­neh­mer im Sin­ne des Uni­ons­rechts; dies ände­re aber nichts dar­an, dass dann, wenn wie im vor­lie­gen­den Fall sein Arbeits­ver­hält­nis auf­grund des natio­na­len Rechts aus­ge­setzt wor­den ist, wie dies nach Para­graf 5 Nr. 3 der Rah­men­ver­ein­ba­rung über den Eltern­ur­laub zuläs­sig ist, auch die gegen­sei­ti­gen Leis­tungs­pflich­ten des Arbeit­ge­bers und des Arbeit­neh­mers, ins­be­son­de­re die Pflicht des Arbeit­neh­mers, die ihm im Rah­men die­ses Arbeits­ver­hält­nis­ses oblie­gen­den Auf­ga­ben zu erfül­len, ent­spre­chend sus­pen­diert sind.

Folg­lich kön­ne in einem Fall wie dem des Aus­gangs­ver­fah­rens der Zeit­raum des Eltern­ur­laubs, der dem betref­fen­den Arbeit­neh­mer wäh­rend des Bezugs­zeit­raums gewährt wur­de, bei der Berech­nung sei­ner Ansprü­che auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub gemäß Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88 einem Zeit­raum tat­säch­li­cher Arbeits­leis­tung nicht gleich­ge­stellt werden.

Fer­ner kön­ne zwar nach stän­di­ger Recht­spre­chung des Gerichts­hofs ein uni­ons­recht­lich gewähr­leis­te­ter Urlaub nicht das Recht beein­träch­ti­gen, einen ande­ren uni­ons­recht­lich gewähr­leis­te­ten Urlaub zu neh­men, der einen ande­ren Zweck als der erst­ge­nann­te ver­folgt. Aus die­ser im Zusam­men­hang mit Fäl­len der Über­schnei­dung oder des Zusam­men­fal­lens der Zeit­räu­me die­ser bei­den Urlau­be ent­wi­ckel­ten Recht­spre­chung lässt sich jedoch nicht her­lei­ten, dass die Mit­glied­staa­ten ver­pflich­tet sind, bei der Berech­nung der Ansprü­che eines Arbeit­neh­mers auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub gemäß der Richt­li­nie 2003/88 einen ihm wäh­rend des Bezugs­zeit­raums gewähr­ten Zeit­raum des Eltern­ur­laubs als Zeit­raum tat­säch­li­cher Arbeits­leis­tung anzusehen.

Die­ser Argu­men­ta­ti­on hat sich das BAG in sei­ner Ent­schei­dung ange­schlos­sen. Ein Arbeit­ge­ber kann dem­zu­fol­ge wirk­sam den Urlaubs­an­spruch kürzen.

Dr. Thors­ten Engel, LL.M.

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Ein Gedanke zu „§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG verstößt nicht gegen Unionsrecht“

  1. Die Arbeit­neh­me­rin hat­te mit ihrer Kla­ge kei­nen Erfolg. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass der Arbeit­ge­ber die Urlaubs­an­spru­che der Arbeit­neh­me­rin aus den Jah­ren 2013–2015, in denen sie sich in Eltern­zeit befand, rechtma?ig gema? § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG fur jeden vol­len Kalen­der­mo­nat der Eltern­zeit um ein Zwolf­tel gekurzt habe. Die obers­ten Arbeits­rich­ter wie­sen in ihrem Urteil dar­auf hin, dass das Kur­zungs­recht des Arbeit­ge­bers, die Abga­be einer dar­auf gerich­te­ten emp­fangs­be­durf­ti­gen rechts­ge­schaft­li­chen Erk­la­rung erfordert.

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