Das BAG hat sich in seinem Urteil vom 25.03.2015 (5 AZR 602/13) zum einen mit der Auslegung der arbeitsvertraglichen Klausel “Beschäftigung in Vollzeit”, zum anderen mit der Schätzung des Mindestumfangs geleisteter Überstunden befasst.
Die Bestimmungen des Arbeitsvertrages zur Tätigkeit sind wie Allgemeine Geschäftsbedingungen anhand der §§ 305 c Abs. 2, 306, 307 — 309 BGB zu beurteilen. Danach darf der durchschnittliche Arbeitnehmer die Klausel, er werde “in Vollzeit” beschäftigt, so verstehen, dass die regelmäßige Dauer der Arbeitszeit 40 Wochenstunden nicht übersteigt, wenn es an einer ausdrücklichen (weiteren) arbeitsvertraglichen Bestimmung hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit fehlt.
Zur Vergütungspflicht von Überstunden führt das BAG aus, dass sie, sofern eine einschlägige tarifvertragliche Regelung nicht anwendbar ist, eine entsprechende arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine Verpflichtung nach § 612 Abs. 1 BGB voraussetze. Die Vergütung von Überstunden setze weiter voraus, dass der Arbeitnehmer solche tatsächlich geleistet hat und die Überstundenleistung vom Arbeitgeber veranlasst war oder ihm zuzurechnen ist. Das BAG verweist insoweit auf die bisherige Rechtsprechung, insbesondere das Urteil 10.04.2013, 5 AZR 122/12.
Für beide Voraussetzungen, einschließlich der Anzahl geleisteter Überstunden, trägt der Arbeitnehmer vollumfänglich die Darlegungs- und Beweislast. Auch hier verweist das BAG auf seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere das Urteil vom 16.05.2012, 5 AZR 347/11, zur Leistung von Überstunden und das Urteil vom 10.04.2013, 5 AZR 122/12, zur arbeitgeberseitigen Veranlassung.
Steht gemäß § 286 ZPO zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sind, kann aber der Arbeitnehmer aber nicht in jeder Hinsicht seiner Darlegungs- und Beweislast für jede einzelne Überstunde genügen, darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 S. 1 und S. 2 ZPO schätzen.
Nach diesen Grundsätzen kommt eine „Überstundenschätzung“ in Betracht, wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenem Sachvortrag des Arbeitgebers oder dem vom Tatrichter nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im Streitzeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war. Kann in einem solchen Falle der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen (etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufzeichnungen fehlen, überhaupt der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen), kann und muss der Tatrichter nach pflichtgemäßen Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen.
Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dem aufgrund des vom Arbeitgeber zugewiesenen Umfangs der Arbeit im Grundsatz berechtigten Arbeitnehmer jede Überstundenvergütung zu versagen.
Bei der Schätzung hat der Tatrichter alle wesentlichen Bemessungsfaktoren zu berücksichtigen; er darf nicht unrichtige oder unbewiesene Anknüpfungstatsachen seiner Schätzung zugrunde legen.
Dieses Urteil bedeutet, wenn auch geringe, Herabsetzung der Anforderungen hinsichtlich des Erfordernisses der Substantiierung des klägerischen Vortrages.
Dr. Thorsten Engel, LL.M.
Rechtsanwalt | Partner
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
In der Tat ein interessanter Ansatz, aber es ist zu bezweifeln, dass sich in der Praxis viel ändern wird. In der Regel ist ja schon die Frage, ob überhaupt irgendwelche Überstunden angefallen sind und ob diese angeordnet/notwendig waren streitig… Aber warten wir mal ab. Jedenfalls könnte es die Vergleichsbereitschaft erhöhen!
BG
Mark
Bisher konnten sich die Arbeitgebervertreter zumeist entspannt zurücklehnen, da die Messlatte nicht übersprungen wurde. Darauf können sie sich zukünftig jedoch nicht mehr verlassen, so dass in der Tat dieser Umstand dazu beitragen könnte, dass die Vergleichsbereitschaft auf Arbeitgeberseite steigt. Des einen Freud´, des anderen Leid… Mal freut es mich, mal nicht:-)